Mit der Entwicklung der Pulverkanone reichten die mittelalterlichen Mauern und Türme der Städte und Burgen für die Verteidigung nicht mehr aus. Man begann damit, Erde hinter den Mauern aufzuschütten und die Türme in Bastionen mit Geschützplattformen umzuwandeln. Nach und nach entwickelte sich ein ausgefeiltes System des Festungsbaus, bei welchem der berühmte Baumeister Vauban als führender Architekt galt. Doch schon Leonardo da Vinci und Albrecht Dürer legten zu ihrer Zeit den Grundstein für den modernen Festungsbau.
In Folge dieser neuen Festungen änderte sich auch die Technik der Belagerung. Im 18. Jahrhundert folgten die Belagerungen einem festgelegten Ablauf und wurden häufig auf sehr wissenschaftliche Art und Weise durchgeführt. Vauban formalisierte viele „Regeln“ der Belagerungskriegsführung und stellte einen Zeitrahmen auf, nach dem Belagerungskräfte agieren sollten. Er schlug außerdem vor, einer Garnison zu gestatten, sich ehrenvoll zu ergeben, sobald ein Durchbruch in den Mauern erfolgt war. So sollte unnötige Blutvergießen vermieden werden, das bei einem befohlenen Sturmangriff auf die Bresche entstehen würde.
Belagerungsring
Sobald eine belagernde Armee am Ziel eintraf, wurde Kavallerie oder leichte Infanterie ausgeschickt, um die Festung zu umzingeln und alle Zufahrtswege abzuschneiden, die in den Ort führten. Das Standardprotokoll sah vor, dass der Angreifer die Übergabe des Ortes forderte, es wurde aber erwartet, dass die Verteidiger diese Forderung ablehnen würden. Die angreifende Armee errichtete daraufhin lineare Erdwerke, die den Ort in rund 2.400 Metern Entfernung von den Verteidigungsanlagen umgaben.
Eine Linie war nach innen gerichtet, um sich gegen Ausfälle der Garnison zu schützen und eine Linie nach außen, um die Belagerer vor feindlichen Entsatzkräften zu schützen, die den Versuch unternahmen, den Belagerungsring zu durchbrechen. Zwischen den beiden Linien lagerten die Truppe und Vorräte, wobei kleine befestigte Lager häufig wie starke Stellungen in den Linien fungierten. Die Linien waren in der Regel nicht sehr stark befestigt, da sie nur als temporäre Festungswerke gedacht waren. Es handelte sich oft um einfache Erdaufwürfe, die von einem Graben geschützt und von Schanzen flankiert wurden.
Sappen
Nachdem eine sorgfältige Beobachtung der Verteidigungsanlagen durchgeführt worden war, wählte der Befehlshaber der Belagerer eine Schwachstelle als Ziel des Angriffs aus. Zunächst wurden zwei Annäherungsgräben in Zick-Zack-Linie, auch Sappen genannt, vom Belagerungsring in Richtung des Zielabschnitts der Verteidigung gegraben.
Die Zick-Zack Linie war notwendig, damit der Weg im Graben nicht direkt mit Geschützen bestrichen werden konnte. Die Sappenspitze wurde während der Grabungsarbeiten mit Hilfe einen fahrbaren Schutzschild aus schweren Bohlen gesichert. Die Sappeuere, die den Annäherungsgraben anlegten, gruben zu dritt streifenweise nebeneinander, wobei das Erdreich in aus Weidenruten geflochten Schanzkörben gefüllt wurde.
Die Schanzkörbe deckten den Graben vor Beschuss aus der Festung. Gegraben wurden die Sappen und Parallelen meist in der Nacht, da man im Schutz der Dunkelheit besser vor feindlichem Beschuss gesichert war.
Erste Parallele
Rund 600 Meter von den feindlichen Festungswerken entfernt wurde die erste Parallele angelegt. Dies war eine Art Schützengraben, der parallel zur Verteidigungslinie verlief, die beiden Sappen verband und eine Basis für die Anlage der ersten Batterien bot. In sogenannten Batterien wurden die Geschütze der Belagerer zusammengefasst, eingegraben und mit Sand gefüllten Schanzkörben sowie Faschinenbündeln geschützt.
Bei diesen Batterien handelte es sich manchmal um sogenannten „Rikoschettbatterien“. Bei einem Rikoschettschuss, auch Prellschuss genannt, wurde ein Geschoss so abgefeuert, dass es im Zielgebiet mit flachem Winkel auftraf und abprallte. Diesen Effekt nutzte man bei der Artillerie des 18. und 19. Jahrhunderts bewusst aus, um so entweder eine größere Reichweite zu erzielen, als dies normalerweise möglich gewesen wäre, oder um durch die mehrfachen Aufschläge der Kugel im Ziel eine größere Wirkung zu erreichen. Im Falle der Belagerung versuchten man mit Prellschüssen die Geschosse über die Brustwehr hinweg entlang eines Wallganges zu lenken. Hier sollten die Kugel weiterhüpfen und dabei feindliche Geschütze zerstören und Artilleristen ausschalten.
Es gab außerdem sogeannte „Demontierbatterien“, bei denen immer drei Kanonen gegen ein feindliches Geschütz feuerten und so die Batterien im angegriffenen Abschnitt zum Schweigen brachten, also „demontierte“. Sogenannte „Kontrebatterien“ feuern auf die Festungsgeschütze links und rechts des Angriffsabschnitts und hinderten diese so am Eingreifen. „Enfilierbatterien“ beschossen die Festungswerke der Länge nach. Für alle diese Feuerarten brauchte man keine sehr schweren Geschütze, meist waren es 8- oder 12-Pfünder Kanonen. Wichtig war auch, dass die Festung nie zur Ruhe kam. Aus diesem Grund wurde der Beschuss Tag und Nacht fortgesetzt. Tagsüber wurde die Position der Geschütze deshalb mit Stöcken markiert, so dass diese in der Nacht nach dem Rücklauf wieder in die richtige Position geschoben werden konnten.
Zweite Parallele
Von der ersten Parallele wurden die beiden Sappen weiter nach vorn getrieben und die beiden Köpfe der Annährungsgräben rund 250 bis 300 Meter vor den feindlichen Festungswerken zu einer zweiten Parallele verbunden. Die hier eingerichteten Batterien unterstützte den Beschuss der Batterien der ersten Parallele, wobei das Feuer der zweiten Parallele aufgrund der näheren Entfernung natürlich deutlich wirksamer war. Die Batterien in der zweiten Parallele konnten, wie schon in der ersten Parallele unterschiedliche Aufgaben haben. Hier standen auch gegenüber den Festungswerken die Mörser und Haubitzen, die Bomben und Granaten auf die Infanterie in den Festungswerken warfen. Diese Wurfgeschütze konnte gusseiserne Geschosse von bis zu 50 kg verschießen. Die Pulverfüllung dieser Hohlkugeln wurde mit einer Zündschnur gezündet, welche durch das Mündungsfeuer automatisch in Brand gesetzt wurde. Den Zeitpunkt der Zündung regulierte man über die Länge der Lunte.
Dritte Parallele
Nun wurden weitere Sappen bis 30 Meter vor die Glaciskrete (Innenböschung der Glacis) gebracht und die dritte Parallele gezogen. Von der dritten Parallele aus errichtete man schließlich die „Breschbatterien“, die aus bis zu acht schweren Kanonen bestanden, die binnen 24 Stunden eine 30 Meter breite Bresche in die Befestigung schossen. In der Breschbatterie wurden die schweren Geschütze, also 18- und vor allem 24-Pfünder eingesetzt. Diese schossen auf das untere Drittel der Außenmauer und setzten dort Schuss neben Schuss in einer waagerechten Linie, um das Mauerwerk zu erschüttern. Ziel war es, die Mauer soweit zu destabilisieren, dass diese in den Graben stürzte und das nachrutschende Erdreich eine Bresche bildete.
Der Breschbeschuss sollte nach Möglichkeit schräg auftreffen, da dieser so eine größere Wirkung erzielte. Man ging davon aus, dass man für das Schießen einer Bresche vier bis acht Tage benötigte. Sobald die Bresche gangbar war, räumte der Verteidiger das Festungswerk. War der Hauptwall, also die Kurtine oder eine Bastion durchbrochen, ergab sich die Festungsbesatzung meist, weil man den Sturm fürchtete und eine solche Bresche für nicht verteidigungsfähig hielt.
In der dritten Parallele sammelten sich auch die Truppen für den Sturm auf die Festung, für den Fall, dass der Verteidiger sich nicht ergab.
Fort William Henry
Die Belagerung von Fort William Henry folgte der beschriebenen Vorgehensweise in großen Teilen. Da das Fort aber eigentlich nur aus Holz und Erde sowie für einen Infanterie-Angriff konstruiert war, konnten die Belagerer einige Punkte der formellen Belagerung außer Acht lassen. So dauerte die Belagerung auch nur rund 6 Tage (vom 3. bis 9. August 1757). Es wurde außerdem auf die Anlage der dritte Parallele verzichtet, da die Bastionen und die Kurtinen schon aus einer Entfernung von rund 200 Metern von der Breschbatterien wirkungsvoll beschossen werden konnte.
Die erste Parallele bestand aus zwei Batterien, der linken und der rechten, die mit Geschützen ganz unterschiedlicher Kaliber und auch Mörsern bestückt waren. Ziel der französischen Geschütze war vor allem die nordwestliche Bastion des Forts, die man als Ziel gewählt hatte und wo man gedachte, die Bresche zu schlagen. Bei einem Großteil der 18 britischen Kanonen im Fort zerbrachen zudem die altersschwachen Rohre und wurden so unbrauchbar. Zum Ende der Belagerung hin gab es deshalb nur noch 5 funktionstüchtige Geschütze in der britischen Festung.
Nachdem bekannt wurde, dass eine Entsatztruppe aus dem benachbarten Fort Edward nicht kommen würde, ergaben sich die Briten schließlich. Sie konnten mit allen Ehren, also in voller Bewaffnung und mit den Fahnen abziehen.