Die Schlacht um die Schelde-Mündung

Vermutlich werden einige von euch im letzten Jahr den Film „Die Schlacht um die Schelde-Mündung“ gesehen haben. Dieser niederländische Spielfilm ist seit Oktober 2021 bei Netflix zu sehen. Der Film erzählt eine fiktive Geschichte, die rund um die Schlacht an der Scheldemündung während des Zweiten Weltkriegs angesiedelt ist. Die Handlung wird aus der Sicht des britischen Piloten William Sinclair, der einheimischen TeuntjeVisser und dem Niederländer Marinus van Staveren geschildert.  William ist ein Pilot, der mit seinem Gleiter über Zeeland abstürzt und sich mit seiner Truppe durch die überflutete Landschaft kämpfen muss. Teuntje wird in die Auseinandersetzung gezogen, weil ihr Bruder durch einen spontanen Anschlag auf die deutschen Besatzer gesucht wird. Marinus kämpft als Freiwilliger Soldat in der deutschen Wehrmacht, wo er zunächst in Russland und später dann in Zeeland am Sloedam eingesetzt wird. Der Film ist zwar kein Meisterwerk, bietet aber solide Unterhaltung und den Einblick in einen Kriegsschauplatz, der noch wenig beleuchtet wurde.

Wie es der Zufall will, war ich erst kürzlich auf der Halbinsel Walcheren unterwegs und habe dort natürlich die Gelegenheit genutzt, um einige Museen und Schauplätze zu besichtigen. Leider hatte ich nur einen Tag Zeit und konnte deshalb nur einige wenige Orte besuchen.

Hintergrund

Nach dem D-Day und den Kämpfen in Frankreich fehlte den Alliierten immer noch ein großer und unbeschädigter Hafen, um ihren Vormarsch nach Deutschland versorgen zu können. Schließlich gelang es den alliierten Truppen den einigermaßen unbeschädigten Hafen von Antwerpen in Besitz zu nehmen, aber die Schelde und damit der Zugang zum Hafen war immer noch in deutscher Hand. Am 12. September erhielt die 1. Kanadische Armee den Auftrag zur Eroberung des Schelde-Mündungsgebiets. Die Schlacht fand dann zwischen dem 2. Oktober und dem 8. November 1944 statt und gliederte sich in drei Phasen, die Operationen „Switchback“, Vitality“ und „Infatute“. In diesem Bericht und auch in dem erwähnten Spielfilm geht um die letzte Phase der Kämpfe, die Schlacht um Walcheren bzw. die Operation „Infatute“. Sie wird auch „Die vergessene Schlacht“ genannt, obwohl sie eine Schlüsselrolle bei der Befreiung der Niederlande spielte.

Deutsche Truppen

Während des 2. Weltkrieges waren auf Walcheren von den Deutschen etwa 40 Artilleriestellungen in Betonbunkern errichtet worden. Ergänzt durch ein Netzwerk von kleineren Bunkern und Gräben, machten sie die Einnahme von Walcheren zu einem schwierigen Unterfangen. Die Insel konnte neben dem Seeweg auch über eine einzige Landverbindung erreicht werden, den 1.200 Meter langen Sloedam, der jedoch zu beiden Seiten von den deutschen Truppen befestigt worden war. Zum Zeitpunkt der Operation „Infatute“ war die Insel von Teilen der deutschen 15. Armee, ca. 86.000 Soldaten, 600 Geschütze und 6.000 Fahrzeuge, besetzt worden.

Luftangriff

Am 3. Oktober 1944 wurde der Deich von Westkapelle durch die Royal Air Force bombardiert, in der Hoffnung, dadurch die Deutschen aus Walcheren vertreiben und die Fahrrinne für die Schifffahrt nach Antwerpen frei machen zu können. Weitere Deiche auf Walcheren waren das Ziel der Bombardierungen, um die Überschwemmungen zu beschleunigen und große Teile Zeelands zu überfluten.

Amphibischer Angriff

Am 1. November 1944 erfolgten zwei amphibische Landungen, die erste bei Vlissingen durch britische, französische und niederländische Truppen. Ihnen war ein schweres Bombardement auf die deutschen Küstenabwehrstellungen vorausgegangen, was die Anlandung der alliierten Truppen erleichterte. Nach der Landung einer kleinen Aufklärungseinheit folgte die erste Angriffswelle gegen 6:35 Uhr am Strand in der Nähe der Oranjemolen in Vlissingen, der den Codenamen „Uncle Beach“ trug. Der Angriff auf Vlissingen wurde von den britischen 4. Royal Marine Commandos durchgeführt, darunter französische und niederländische Soldaten. Es gelang zwar innerhalb weniger Stunden das Zentrum von Vlissingen einzunehmen, aber die Deutschen leisteten im Norden der Stadt weiterhin Widerstand.

Am 27. Oktober 1944 traf die T-Force der Royal Navy in Ostende ein. Diese aus 123 Schiffen bestehende Seekampfgruppe wurde für amphibische Landungen bei Westkapelle geschaffen. Die Truppen stammten aus dem 41., 47. und 48. Royal Marine Commandos sowie der 4. Special Service Brigade. Außerdem traten Belgier, Holländer und Norweger des 10. Inter-Allied Commando an. Am 31. Oktober dampfte die Seekampfgruppe nach Westkapelle. Vier der schwersten deutschen Geschütze waren dort noch immer intakt und nahmen eine Gruppe von 25 britischen Kanonenbooten unter Beschuss, welche die Landung sichern sollten. Nach zwei Stunden waren nur noch fünf dieser Boote seetüchtig, aber glücklicherweise hatte das Landungsboot keinerlei Treffer erhalten, so dass die Truppen an Land gehen und die deutschen Stellungen erfolgreich angreifen konnten.

Angriff über den Sloe-Damm

Die 2. kanadische Infanteriedivision hatte sich aus Brabant auf die Halbinsel Süd-Beveland zurückgezogen und dort bis zum 31. Oktober alle Widerstände beseitigt. Süd-Beveland war über den schmalen Sloedam, 40 Meter breit und 1600 Meter lang, mit Walcheren verbunden. Erste Pläne, Boote für den Angriff einzusetzen, wurden durch die schlammigen Bedingungen vereitelt, weshalb ein Angriff zu Fuß über den Damm beschlossen wurde.

Die „C“ Kompanie der kanadischen Black Watch war die erste Einheit, die den Sloedam stürmte. Ihr Angriff wurde jedoch gestoppt und sie erlitten schwere Verluste. Während des Kampfes entdeckten sie einen tiefen Krater im Damm. Die Spitze des Damms war von den Deutschen teilweise gesprengt worden, um so als Panzersperre zu dienen. Später nutzten die Kanadier den Krater als Kompanie-Kommandoposten. Als nächstes griff die „B“ Company der Calgary Highlanders an. Sie wurden jedoch auf ähnlich blutige Weise auf halber Höhe des Damms gestoppt. Ein weiterer Angriff wurde durch Artillerie vorbereitet und die „D“ Company von Major Bruce McKenzie kroch unter schwerem Feuer vorwärts. Diesmal erreichten sie die Westseite des Damms und sicherten ihn am Morgen des 1. November. Die Deutschen unternahmen wiederholt schwere Gegenangriffe, einschließlich des Einsatzes von Flammenwerfern gegen die Kanadier. Zwei Züge des Le Régiment de Maisonneuve übernahmen am 2. November den Brückenkopf in Walcheren. Sie wurden jedoch bald zum Damm zurückgedrängt. Einem Bataillon Highlander wurde befohlen anzugreifen, aber sie konnten den Brückenkopf auf der Insel nicht erweitern. Nur durch die Landungen bei Westkapelle und Vlissingen konnte die deutschen Verteidiger schließlich bezwungen werden (s. oben)

Am Abend des 3. November war der Widerstand der Deutschen zwischen Vlissingen und Westkapelle gebrochen, und wenige Tage danach, am 8. November, endeten die Gefechte auf Walcheren.

Museen

Ich bin sicher, dass ich nur eine Auswahl der vorhandenen Museen, Orte und Gedenkstätten zur Schelde-Schlacht besucht haben. Es handelt sich im Nachfolgenden also nicht um eine vollständige Liste.

Polderhuis-Museum in Westkapelle

An die Kriegshandlungen von damals erinnern heute ein Landungspanzer der Alliierten, der nun als Denkmal auf dem Deich oberhalb des Polderhuis-Museums in Westkapelle steht, sowie einige noch bestehende Bunker, die besichtigt werden können. In der Dauerausstellung erfährt man viel über die Geschichte von Westkapelle und seinen Einwohnern. Anhand von Fotos, Originalobjekten und interaktiven Medien taucht man ein ins Dorfleben und die Kämpfe im Herbst 1944.

Die Ausstellung im Polderhuis-Museum hat im Wesentlichen die Luftangriffe, die Zerstörung des Deiches und das Landeunternehmen zum Thema.

Das Diorama zeigt die Reparatur des Deiches bei Westkapelle.
Anhand von einzelnen Erinnerungsstücken wird die Geschichte der getöteten Dorfbewohner erzählt.

Bunkermuseum Zoutelande

Das kleine Bunkermuseum Zoutelande befindet sich auf einem Dünenkamm in der Nähe des gleichnamigen Ortes.

Bei dem Bunker handelt es sich um einen Typ 143 Artillerie-Beobachtungsstand mit kleinem Artilleriebeobachtungsturm.
Eine Panzerkuppel auf dem Bunkerdach schütze das Beobachtungs-Periskop. Von hier aus konnte man die komplette Westhälfte von Walcheren überblicken.
Das Herz der B-Stelle bildete der Panzerturm mit dem Periskop.
MG-Scharte zur Sicherung des Bunkers.
Unterhalb der B-Stelle befindet sich ein Mannschafts-Bunker.
„Drachenzähne“ in der Nähe von Zoutenland dienten als Panzersperre.

Bunkermuseum Vlissingen

Am Ostende des Strandes von Vlissingen findet man neben dem Denkmal für die Alliierten Soldaten, die an der Landung am „Uncle Beach“ teilgenommen haben auch das kleine Bunkermuseum Vlissingen.

Geschützt wurde dieser Abschnitt durch Bunkeranlagen, in denen heute das Bunkermuseum Vlissingen beheimatet ist.
Hier steht auch die Oranje-Mühle, die als Wegweiser für die Landung am Uncle Beach diente.
Neben dem Bunker steht ein großer Schaukasten mit einem deutschen Biber U-Boot. Diese 1-Mann Mini-U-Boote waren mit zwei Torpedos bewaffnet und dienten im Winter 1944/45 vor der niederländischen Küste dazu, den Schiffsverkehr zu stören.

Bevrijdingsmuseum Zeeland

Das eindrucksvolle und große „Befreiungs-Museum“ Zeeland, ganz in der Nähe von Vlissingen bei Nieuwdorp, konnte ich leider noch nicht besuchen. Die Bilder, die man im Internet findet, lassen aber vermuten, dass sich ein Besuch auf jeden Fall lohnen wird. Das Museum kommt also auf meine To-do-Liste.

Das Bevrijdingsmuseum Zeeland führt durch die Jahre der Provinz Zeeland im zweiten Weltkrieg. Das Museum entstand aus der Privatsammlung von Kees Traas und wurde im Jahr 2009 eröffnet. Neben der Ausstellung in den Museumsräumen gibt eine große Außenanlage mit rekonstruierten Strandhindernissen, Bunkern und Gebäuden aus der Zeit der Schelde-Schlacht.

4 Kommentare zu „Die Schlacht um die Schelde-Mündung“

  1. Schöner Bericht! Die Geschichte ist mir sehr bekannt. Mein Opa war dort in Vlissingen stationiert. Er war bei der Marineartillerie dort. Stellung Schweinebart. Diese ist teilweise noch vorhanden, ein Teil fiel dem neuen Deichbau zum Opfer. Die deutschen Geschützbunker wurden zwischen die dort schon vorhandenen holländischen MG Bunker gebaut. Ich war im Jahre 2009 mal dort. Mein Opa wurde dort gefangen genommen und kam 1946 zum Glück aus der Kriegsgefangenschaft zurück.

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