Dort wo sich der Bahr al-Abiad, der Weiße Nil, aus dem Zusammenfluss von Bahr-el-Ghazal, Bahr-el-Arab, Bahr-el-Jebel und dem Sobat bildet, liegt der Sudd, eine gigantische Flussbarriere aus Wasserpflanzen, die als eines der größten Sumpfgebiete der Welt gilt. Die nahezu baumlose Region im südlichen Sudan besteht aus riesigen Phapyruswäldern und Ambatsch-Pflanzen, flachen Seen und hunderten mäandrierenden Wasserläufen, die sich zu einer riesigen Fläche vereinigen.
Nur hier und dort ragen Feigenbäume und die für diese Region so typische Fächer- oder Doumpalmen aus der Ebene. Die Größe des Gebietes wird stark durch die Trockenzeiten und die Zeiten der Flut verändert und zwingt die Bewohner zu ganz besonderen Lebensweisen.
Geschichte der Region
Der Sudd galt einst als undurchdringlich. Erst 1839 beauftragte der ägyptische Herrscher Mehmet Ali den türkischen Kapitän Salim Qapudan in Richtung Süden vorzustoßen. Zwei Jahre später schaffte er es, er erreichte Gondokoro und damit der Innere Afrikas. Über viele Jahre hinweg war die Region Überfällen durch Sklavenhändler ausgesetzt. Der Sklavenhandel wurde zwar 1864 vom Khediven von Ägypten verboten, konnte sich aber durch den Einfluss mächtiger Einheimischer, wie Zubehr Pascha wieder durchsetzen. Diese setzten sich selbst als Fürsten mit eigenen Armeen in der Region ein. Nach den Sklavenhändlern folgten Forscher, wie der berühmte Georg Schweinfurth, der durch den Sudd bis in das Land der Azande vordringen konnte.
Legendär wurde vor allem die Expeditionen von Samuel White Baker in den Jahren 1862, bei der er den Albertsee erreichte und 1870/71, als er mit seinen Booten monatelang im Sudd feststeckte. Im Rahmen der zweiten Expedition gründete er im Auftrag der ägyptischen Regierung hier die Provinz Äquatoria. Ihm folgte 1874 Charles George Gordon als Gouverneur und schließlich Emin Pascha im Jahr 1878. Im Jahr 1880 führte Romolo Gessi Pascha eine Militär-Operation gegen die Sklavenhändler in der Bahr-el-Ghazal Region, deren erster Gouverneur er wurde. Zu seinem Nachfolger ernannte man Lupton Bey, der 1884 in Gefangenschaft der Mahdisten geriet. Im Jahr 1892 erreichte eine Expedition der Mahdisten die Region der Dinka, aber ein Großteil der Truppen und ihr Anführer Abu Mariam wurden bei Kämpfen getötet und die wenigen Überlebenden flüchteten nach Darfur. Nur in Bor und Rejaf konnten die Ansar Stützpunkte errichten, wo sie gegen die Belgier kämpften, die vom Kongo nach Äquatoria vorstoßen wollten. Im Zuge der Rückeroberung des Sudan durch die Briten, welche im Jahr 1896 begann, drangen auch die Franzosen in den Südsudan vor. Major Marchand konnte mit seiner Truppe nach zweijähriger Reise am 10. Juli 1898 Faschoda erreichen. Am 18. September landeten auch die Briten in Faschoda, wo ein Konflikt zwischen den beiden Nationen nur durch die Besonnenheit beider Regierungen verhindert werden konnte.
Dinka
In diesem Gebiet liegt auch das Zentrum der Nilotischen Völker, welche nicht nur eine gemeinsame Sprachfamilie verbindet, sondern auch eine tiefschwarze Hautfarbe und ein hochgewachsener, schlanker Körperbau. Die größte Volksgruppe in dieser Region ist die der Dinka. Die europäischen Forschen nannten sie Storchenmenschen, da sie häufig spindeldürre Beine besitzen und auf einem Bein stehen.
Die Dinka oder Muonyjang, wie sie sich selbst nennen, bewohnten hauptsächlich das rechte Ufer des Bahr-el-Abiad bis hinauf zum Zulauf des Sobat, die Nil-Ebene südlich des Bahr-el-Ghazal und Region an beiden Ufern des Bahr-el-Djebel.
Das Volk der Dinka setzt sich aus rund 25 Stammesgruppen zusammen, zu den wichtigsten zählen (von West nach Ost) die Ruweng, Rek, Gok, Agar, Chiech, Aliab, Bor und Padang. Es gibt keine wirkliche Herrscher bei den Dinka, lediglich lokale Häuptlinge, aber meist wird aufgrund der isolierten Lebensweise jeglicher Konflikt innerhalb des Clans geregelt. Der Clan wiederrum teilt sich in Familiengruppen, die gol genannte werden. Die Dinka eines gol teilen sich den gleichen Namen und Totem. Die Nachbarvölker der Dinka sind im Norden die Schilluk, im Süden die Bari, im Südwesten die Azande und im Osten die Nuer.
Erscheinungsbild
Die Männer gehen vollständig nackt, eine Eigenart, die sich auf alle Völker dieser Breiten ausdehnen lässt. Nur die Frauen verwenden eine Art Lendenschurz. Typisch für die Dinka ist das Entfernen der vier unteren Schneide- und der zwei unteren Eckzähne, wodurch die oberen Zähnen fächerartig auseinanderwachsen und über die Stirn laufende Narben, die den Männern in früher Jugend beigebracht werden.
Je nach Dinka-Gruppe oder Stamm fallen die Stirnnarben ganz unterschiedlich aus. Bei den Agar werden 6 parallele Narben getragen, die in einem Bogen von Ohr zu Ohr verlaufen. Bei den Gok sieht man V-förmige Narben. Die Schnitte, die zu den Narben führen werden den männlichen Dinka im Alter zwischen 10 bis 16 Jahren beigebracht. Die Narben zeigen an, dass der Träger in den Kreis der Männer aufgenommen wurde und nun als parapuol gilt. Häufig sieht man die Dinka mit Asche eingerieben umhergehen, was gegen die ständige Plage der Stechmücken und Rinderbremsen schützt. Die Männer schlafen sogar oft in den Aschehaufen der Feuer, die mit ihrem Rauch ebenfalls die Fliegen vertreiben.
Neben großen Elfenbeinarmringen werden häufig eiserne Armringe, dicht an dicht, bis an den Ellenbogen getragen. Eisen wird, auch bei Frauen, statt Kupfer als Schmuck verarbeitet. Erst in neuerer Zeit wurde das Eisen gegen Messing ersetzt. Daneben tragen die Männer Perlenschnüre um die Hüften, häufig bis zu 20 Reihen, die wie ein Korsett aussehen. Die Haare werden entweder kurz geschoren und bis auf eine kleine Kappe am Hinterkopf entfernt oder als kleiner Zopf stehengelassen, um dort Schmuck, wie Federn oder bunte Tücher anbringen zu können. Die Männer färben sich manchmal die Haare mit Hilfe von Asche und Rinderurin in Rot oder auch blond.
Lebensweise
Seit europäische Reisende im 19. Jahrhundert zum ersten Mal auf die Dinka stießen, erwähnten sie immer wieder die enge Verbindung zwischen Mensch und Tier. Die Dinka sind Viehzüchter. Ihre Rinderherden sind nicht nur ihre wirtschaftliche, sondern auch ihre gesellschaftliche Lebensgrundlage.
Das Leben der Dinka richtet sich ganz nach den trockenen Jahrezeiten ker und ruel sowie die nassen rut und mai. Diese Zeiten geben vor, wann Hirse gepflanzt werden muss und wohin die Rinderherden ziehen. Bei den Tieren handelte es sich um Zebu- oder Buckelrinder, die gewaltige Hörner besitzen und ganz unterschiedliche Färbungen aufweisen, für die es bei den Dinka ganz spezielle Namen gibt.
Die wertvollen Rinder der Dinka werden natürlich nicht geschlachtet. Nur Kranke oder verletzte Tiere werden gegessen. Fleisch kommt vor allem in Form von Ziegen und Schafen in die Kochtöpfe. Bei Wildfleisch werden Hasen und auch die Schildkröte bevorzugt. Forscher wie Scheinfurth lobten die Gerichte der Dinka, die denen der Araber und Ägyptern in nichts nachstanden. Trotz der vielen Rinder ist die Milch zwar von guter Qualität, aber gelichzeitig Mangelware. Die überzüchteten Tiere geben kaum Milch, was auch mit der salzarmen Nahrung zusammenhängen kann. Hauptnahrungsmittel ist die Sorghum-Hirse sowie selbst angebautes Gemüse und Fisch aus den zahlreichen Gewässern.
Auf die Jagd nach Nilpferden und Fischen gehen die Dinka in Booten oder Flößen, gebaut aus den armdicken Stämmen des Ambatsch, dessen Holz als äußerst leicht gilt und deshalb ideal für diesen Zweck ist. Fische werden nicht mit Haken und Netzen, sondern mit Speeren und Korbfallen gefangen.
Höfe
Die Dinka leben nicht in Dörfer, sondern in weit verstreuten Einzelhöfen, den baai. Nur die Rinderherden werden gemeinschaftlich in großen Viehhöfen, den luak gehalten, in denen auch die Männer in der Trockenzeit leben, um mit den Herden umherwandern zu können. Nur kranke Tiere werden in den Einzelhöfen versorgt.
Diese Höfe liegen auf kleine Erhebungen im sonst flachen Sudd und bestehen aus einer Hütte für den Mann, einer für die Frauen und die schönste und größte für das kranke Vieh. Das Zentrum des Hofes bildet die Feuerstelle, die durch eine Decke vor Regen und eine Lehmwand vor Wind geschützt wird. Die Lehmwand wird häufig aufwendig verziert und bemalt.
Die runden Tukuls der Dinka bestehen aus Wänden von Lehm und Häckseln, das kuppelförmige Dach aus Akazienästen, welches meist durch einen zentralen Baum gestützt wird. Das Dach ist schindelartig mit Strohschichten gedeckt und läuft in eine aufgesetzte Spitze aus. Vor dem Eingang zum Hof befinden sich häufig zwei kleine Vorratshütten. Umgeben werden die Höfe entweder mit einem Zaun aus hohem Gras, der als Windschutz dient oder mit einer Palisade aus Hölzern, manchmal auch Dornenbüschen, um Tiere fernzuhalten.
Nur die Stammesgruppe der Agahr bildet beim Hüttenbau eine Ausnahme. Aufgrund der Nil-Ebene in ihrer Heimatregion müssen ihre Höfe auf Pfählen errichtet werden. Auf großen mit Lehm geglätteten Plattformen, die von rund 300 Pfählen getragen werden, stehen die Hütten des Hofes. Unter der Plattform wohnen Diener, Sklaven und kleine Haustiere. Hier werden außerdem Vorräte gelagert. Rund um die Höfe werden Hirse, Mais, Bohnen und Tabak angebaut. Da es meist an Holz fehlt, betreibt man die Herdfeuer mit Kuhdung.
Waffen und Krieg
Die Dinka sind ein sehr kriegerisches Volk, die den berüchtigten Massai in dieser Hinsicht kaum nachstehen. Zum Krieger werden die jungen Männer, um ihr Vieh gegen Löwen, Hyänen und vor allem Viehdieben zu schützen. Mit fast allen Nachbarn liegen die Dinka im ständigen Kriegszustand, welcher bei den Nuer bis zum heutigen Tag anhält.
Die Männer sind mit 2 bis 5 Speeren, einem Schild aus Büffelleder und Keulen bewaffnet (nur die Nuer verwenden auch Pfeil und Bogen). Neben dem Schild aus Leder wird auch häufig ein Stockschild mit hohlem Griff in der Mitte oder ein Bogenschild zum Parieren verwendet. Beim Bogenschild soll die Bogensehne einem Keulenschlag die Kraft nehmen. Häufig werden Ziegen oder Rinderschwänze als Schmuck an den Speeren befestigt. Der Speer ist die Hauptwaffe, wird fast immer geworfen, nicht gestoßen und kann, je nachdem ob er zur Jagd, im Kampf oder zum Fischen eingesetzt wird, ganz unterschiedliche Formen aufweisen. Der Speer hat am anderen Ende einen Metallschuh, der als Gegengewicht zur Spitze dient und mit welchem die anderen Speerspitzen geschärft werden.
Die Kampftaktik der Dinka bestand darin, in eine Linie aufzumarschieren und aus dieser Formation Speere auf den Feind zu schleudern. Helfer reichten dabei den Krieger in der Front die Speere oder werfen Keulen, um den Gegner abzulenken. Doch meist wird der Kampf im hohen Gras geführt, wo die Krieger gedeckt in einer Dreier- oder Vierer-Formation auf den Gegner vorrücken. An der Spitze geht der erfahrene Krieger mit einem wurfbereiten Speer in der rechten Hand, den restlichen Speeren und Abwehrstöcke oder Schild in der linken. Unmittelbar hinter ihm geht sein Bruder oder Freund um seine Flanken zu sichern und ein dritter oder vierter Krieger dahinter für den Schutz im Rücken. In dieser Formation rückt die Gruppe in alle Richtungen vor und bleibt dabei ständig im gleichen Abstand zueinander. Die Krieger sind dabei immer dem Feind zugewendet, um so möglichen Wurfspeeren ausweichen zu können.
Religion und Gesetz
Die Dinka sind sehr abergläubisch und religiös. Sie verehren die Unsichtbaren Götter, wovon Nhialic der der wichtigste ist. Die Priester, die mit den Göttern kommunizieren, werden bau genannt. Die Rinderherden sind nicht nur als Nahrungsquelle der größte Schatz, auch in der Religion nehmen sie einen großen Platz ein.
Bei den traditionellen Tänzen werden häufig Rinder imitiert. Die Rinder gelten außerdem als Währung und als Entschädigung bei Streitfällen und Verbrechen. Vom Kind zum Mann wird man durch einen Initiationsritus, bei dem ein Lieblingstier, das dil thak, aus der Rinderherde erwählt wird. Nach der Färbung des Tieres wird der neue Stammeskrieger benannt. Vom Vater erhält der junge Krieger außerdem Speere, Keulen und Schild. Der Junge muss aber auch große Schmerzen erleiden, um zum Mann zu werden. Er erhält sechs parallele Schnitte von rechts nach links in die Kopfhaut, die nach dem Abheilen die typischen Schmucknarben der männlichen Dinka bilden. Eine große Zahl an Rindern sind auch als Brautpreis zu entrichten, weshalb die jungen Männer häufig auf Viehdiebstahl bei den Nachbarvölkern zurückgreifen müssen, was zu einer endlosen Fehde mit den Nuer führte.